Nocturnes. Interventionen
2024
Gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen, Schutzumschlag
ISBN: 978-3-9505459-0-6
120 Seiten, 28,- EUR / 42,- CHF
»die dinge um dich herum
flimmern und flickern
wirbeln nach innen –
als galaktische wesen
werden wir helium atmen
wie schatten von schatten«
Nächtliche Fahrten voller Monde, Träume, Planeten und innerer Räume: In ihren »Nocturnes« unternimmt Augusta Laar es erneut, gegen den Schlaf anzusingen, ihm Zeit abzutrotzen und ihm nächtliche Melodien, Klänge und Rhythmen voll lebendiger Farbigkeit entgegen zuhalten, die das Grau der Nächte erleuchten.
Partituren, Kontrapunkte und Interventionen werden gesetzt wie Wegmarken auf der Reise durch die Nacht, im Gespräch mit allen möglichen Gestalten der Schlaflosigkeit, inspiriert vom musikalischen Schaffen von Siouxsie Sioux, Glenn Gould oder Pierre Schaeffer.
So lauscht die Autorin den Klängen der Nacht ihre Lieder ab und verleiht ihnen in unverwechselbarer Weise eine berückende, hypnotische Stimme.
Augusta Laar: Nocturnes ist im Buchhandel erhältlich, in München z.B. bei Literatur Moths, oder hier beim Verlag zu bestellen.
Bayerische Kleinode
Augusta Laar: Das allerletzte Bild
Lyrikkolumne von Pia-Elisabeth Leuschner
warten im jenseits
in der hotellobby an der bar
au cœur de la nuit
ein kurzschlaf spielt
sich innen ab nichts kippt
nach draußen so rutscht
die zeit ganz nahe
der vorhang hebt sich
schattenfinger tasten nach
dir im nachtwald ist es still
es gibt nichts zu tun im schlaf
nur die geometrie verfolgt
dich ein tornado von dreiecken
und die lateinlehrerin als alte frau
du hast immer noch angst
aber die hoffnung
dass sie dich retten
im jenseits dass sie kommen
als freunde und mit dir tanzen
in der hotellobby an der bar
Aus: Augusta Laar, Nocturnes. Interventionen. Edition. Melos, S. 110.
Augusta Laar ist eine der raren aktiven Surrealistinnen in Deutschland. Mit einer Art »écriture automatique« fängt sie ein, wie sich erinnerte Bilder, Klanglich-Musikalisches und Sprache im Bewusstsein verquicken. Ihre jüngsten Publikationen - beide Edition Melos, Wien - nähern sich immer weiter einer Mimesis von Existentiellem an. In Mitteilungen gegen den Schlaf (2021) schreibt das Ich, von Schlaflosigkeit zu somnambuler Luzidität hypersensibilisiert, gegen den Selbstverlust an.
Dass der Schlaf nämlich auch zu fürchten ist, führt ihr jüngster Band Nocturnes vor, in dem sie mit einer Vielzahl musikalischer Reminiszenzen von Bach bis in jüngste Zeit - seine Verwandtschaft zu seinem großen Bruder, dem Tod, reflektiert.
Das abgedruckte Gedicht ist das vorletzte des Bandes. Mich ließ es spontan an Bilder von Edward Hopper denken: an die bedrückende Verlorenheit seiner in nächtlichen
Vorstadtbars festgebannten Figuren. Die Sprecherin ist an diesem Punkt schon durch wesentlichste Verluste hindurch- gegangen - den Tod eines Kindes, von Eltern, einer Lebens- partnerschaft; nun durchlebt sie das Verlieren der Diesseitswelt. Mit der visuellen Assoziation der Bar mischt sich auch hier ein Musik-Zitat »au cœur de la nuit«.
Die Sängerin Barbara evoziert in ihrem so benannten Song einen Kindheitstraum und eine geliebte Person, der sie zusichert (deutsch von PEL): Wär das notwendig, ich ginge wieder (durch) viele, viele tiefe Nächte, damit endlich dein Herz Ruhe findet und du aufhörst zu sterben, unter deinen schon geschlossenen Lidern. In dem gleichnamigen Techhouse-Album von Ferdinand Dreyssig & Marvin Hey heißt es dagegen: Spüre die Welle der Hoffnung im Herzen der Nacht, die Begeisterung des Lebens, die Welle der Hoffnung, den Weg der Glorie ... ein goldenes Licht ohne Ende.
Welche der Assoziationen von der Dichterin intendiert ist, darf offen bleiben ... Was das Gedicht uns vorfühlen lässt, verstehen wir: Wenn jenes allerletzte Bild unserer Verlassenheit kommt – auf der Schwelle, auf der Schattenfinger nach uns tasten, alles nach innen kippt und wir nichts mehr tun können –, mögen uns zwar nochmal Sekunden-Flashbacks alter Ängste quälen (als uns heimsuchender Geometrietornado oder alter Drache von Lehrkraft). Dann aber erleben wir, wie dieses letzte Bild sich verwandelt: die Tür sich öffnet und sie alle - die Bedrohlichen wie die Verlorenen als Freunde wiederkehren. Mit einem anderen Gedicht Laars: »im takt zu Nothing left to lose // du gehst einen schritt zurück/tanzt tanzt/tanzt«.
Augusta Laar, geboren 1955, lebt als Lyrikerin, Musikerin und Performance-Künstlerin in München und unterrichtet u. a. an der Schule für Dichtung in Wien.