Best Friends. Katalog zur Ausstellung »mitteilen« in der Galerie Bezirk Oberbayern, 2019, 64 Seiten
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Am Abgrund kommt es auf die Haltung an
Im Oeuvre von Augusta Laar findet sich eine Installation mit dem Titel „Verliebte Autos im Wald“, in einer anderen Arbeit hat eine schlaksige Barbiepuppe die Rolle der Maria in einem Krippenaufbau inne. Im selben Werkzyklus treten die Heiligen Drei Könige als Science-Fiction-Figuren auf den Plan. Die Künstlerin hat sich auch der ausgestopften Singvögeln einer Haushaltsauflösung in der Nachbarschaft angenommen und sie zu einer Wandinstallation arrangiert, in der ihnen Gedichte vorgetragen werden.
Der große Bogen, der all diese Arbeiten zusammenhält, hat viel mit Rändern zu tun. Sind Barbiepuppen eigentlich politisch korrekt? Ist das nicht gefährlich, wenn im zarten Kindesalter höchst fragwürdige Rollenbilder und Körperideale zum täglichen Spiel gehören? Ist Plastikspielzeug nicht generell böse? Die Weltmeere sind ja schon jetzt kaum mehr zu retten. Und ist das nicht auch irgendwie unsittlich toten Geschöpfen etwas vorzulesen?
Augusta Laar wischt all diese Fragen zur Seite, packt uns am Schlafittchen und konfrontiert uns mit den vielen Rändern einer Welt, wie wir sie ständig um uns herum konstruieren und etablieren, sie gleichzeitig aber nicht sehen wollen. In den Arbeiten geht es so kunterbunt, so bizarr oder so geheimnisvoll zu, dass sie uns hinein locken, ja regelrecht verführen. Und dann steckt man schon bis zum Hals in diesem wohlsortierten Universum aus vermeintlich wertlosem Plunder. Unachtsam Abgelegtes, beiläufig Verworfenes, mangels Wertschätzung im Verschwinden Begriffenes oder im Verborgenen illegal Hinterlassenes eröffnen einen ganz neuen Blick auf unsere Gegenwart.
Darin einen Spiegel des in München so gerne kultivierten eitlen Auftritts und des morbiden Wiener Charmes zu vermuten, könnte einem in den Sinn kommen, da die Künstlerin zwischen beiden Orten pendelt. Ein so lokaler Bezug würde aber der international ausgerichteten künstlerischen Haltung von Augusta Laar nicht gerecht. So zeugt beispielsweise ihr interaktives Mailart-Projekt "Madonna sagt …" von einem schillernden, globalen Netzwerk.
Es wäre aber auch zu kurz gegriffen, da die Fäden, die Augusta Laar in ihren Installationen, Objektkästen und Fotoarbeiten spannt, viel subtiler sind. Die Fallhöhen, die dabei im Fertigungsprozess eingegangen werden, sind Siegel jeder guten Kunst und lassen auch die Ränder zum Tabu nicht aus. Aus dieser sehr pointiert gesetzten Haltung, die augenzwinkernd jedes Erstarren vermeidet, versteht sich auch der Titel "Kunst oder Unfall" der Performance-Reihe, mit der die Künstlerin seit Jahren gemeinsam mit ihrem Mann Kalle Aldis Laar auftritt.
Überbordend und vielschichtig greift im Gesamtwerk von Augusta Laar vieles ineinander. Die bildende Kunst, die Musik und auch die Poesie, das geschriebene Wort, haben für sie einen sehr hohen Stellenwert. Hier sieht sie sich ganz in der Fluxus-Tradition: Leben und Kunst werden zum fließenden Übergang und das künstlerische Schaffen zu einem Motor, der ständig zwischen Privatem und Öffentlichem mäandert. Sich auf diese Arbeiten einzulassen ist berührend, bisweilen lustig und in jedem Fall sinnlich.
Es ist aber auch gefährlich, denn es ist nicht auszuschließen, dass das eigene Weltbild ins Wanken gerät. Doch auch da lässt die Künstlerin einen nicht in der Luft hängen und hat – ebenfalls in einer Kollaboration mit Kalle Aldis Laar – den "Automaten für Ablass und Zuversicht" ersonnen.
Dörthe Bäumer