Passauer Neue Presse 8. 11. 2008
Rede Kulturminister der Schweiz

 

Literaturdinner auf der Neuburg ein Erfolg

Es tut sich was auf Schloss Neuburg. Seit wenigen Wochen lädt man dort regelmäßig zum Literaturdinner ein. Vergangene Woche trafen sich dort hochkarätige Vertreter aus Kunst und Kultur, mit dabei war auch der Schweizer Kulturminister Dominik Riedo. Der Kulturvertreter des Landes war zur Ausstellungseröffnung der Vernissage der Deutsch‑Schweizerin Augusta Laar eigens nach Niederbayern angereist. Die in Eggenfelden geborene Künstlerin, Lyrikerin und Musikerin zeigt auf Schloss Neuburg einige ihrer Fotografien, einen Teil davon bildet die Barbieworks‑Reihe, bei der sie es auf unvergleichliche Art und Weise und durch innovative Arrangements schafft, aus ursprünglichem Kinderspielzeug anspruchsvolle Kunst für Erwachsene zu kreieren.
Im Anschluss an die Ausstellungseröffnung fand ein Literaturdinner statt, bei dem Dominik Riedo aus seinen Werken vorlas. An der Veranstaltung nahmen neben Kulturinteressierten auch der Intendant der Festspiele Europäische Wochen, Dr. Pankraz Freiherr von Freyberg, sowie Neuburgs Bürger­meister Josef Stöcker teil. ‑ red

 

Dominik Riedo, Kulturminister der Schweiz

Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung von Augusta Laar
auf Schloss Neuburg am Inn


Warum, meine Damen und Herren, warum müssen es anscheinend immer Extreme sein, die einen Künstler machen? Die Rede ist hier nicht davon, was das Werk eines Künstlers ausmacht, wenn er einmal ein Künstler ist, sondern davon, was überhaupt einen Künstler macht. Anders gesagt, wie wird man – abgesehen von den handwerklichen Gewandtheiten, die man erlernen sollte und in immer mehr Kunstschulen in allen möglichen Fachrichtungen auch immer mehr erlernen kann – abgesehen also davon, wie wird man zum Künstler?

Sie merken, meine Damen und Herren, ich mache es Ihnen durchaus nicht einfach, ziehe nicht einfach nur einen Schluss, sondern beginne gleichsam am Anfang meiner Rede ganz vorne, ab ovo, bei dem Woher der Kreativität nämlich. Und ich will gleich noch vorausschicken, dass man, um ein Künstler zu werden, natürlich ein bisschen dafür auch veranlagt sein muss, aber wer wäre das nicht, der sich in irgendeiner Form mit Kunst beschäftigt oder zumindest Kunst in irgendeiner Form mag, ganz abgesehen von den Kindern, bei denen man allenthalben sehen kann, wie kreativ im eigentlichsten Sinne sie dauernd sind?

Nur eine Veranlagung, etwas was sich bereits bei Kindern zeigen kann, ist es also nicht, oder nicht hauptsächlich, was den Künstler macht. Die kurze Suche nach dem Ursprung der Kreativität, auf die ich sie hiermit einlade, der Sprung, den man machen muss – jenes Wort spricht geradezu davon: der Ur-Sprung –, dieses Hinwegspringen über etwas oder von etwas geschieht nämlich meist erst später, nach der Kindheit, also zu einem Zeitpunkt, wenn man bereits auf eigenen Beinen steht, wie es so schön heisst – und was es, um innerhalb unserer begonnenen Suche beim Vergleich zu bleiben, tatsächlich braucht, um einen Sprung tun zu können.

Dieser Sprung: Könnte es auch einer sein über sich hinaus, einer, der den beginnenden Künstler teilweise trennt von dem, was er war? Ein Sprung über sich hinaus, von sich weg gar, dem, was den Menschen anfangs ausmacht, das Getäuscht-werden, das Sich-täuschen, das Wohlfühlen-wollen? Ich will hier gar nicht ins Tiefenpsychologische gehen, weil wir alle auch so wissen, dass Kunst kein Wohlfühlen ist, keine Sitcom zur eigenen geistigen Absicherung dessen, was man als schönes Leben betrachtet. Die Zweifel, die uns alle manchmal beschleichen, betrachten wir uns und die Welt, diese Zweifel sollten wir in diesem Sinne durchaus ernst nehmen. Könnte es sein, dass wir jenen Sprung bloss nicht getan haben, dass wir lieber aus scheinbar sicherer Warte zuschauen?

Sie werden in Künstlerbiographien und im Gespräch mit Künstlern fast immer herausfinden können, dass es einen Zeitpunkt gab, einen Moment in deren Leben, an dem etwas anders wurde. Es ist der Punkt, eben der Moment im Leben, den sich so viele Teenagerinnen im Klischee-Bild erträumen: Der Traumprinz fährt mit der Limousine vor und macht ihr einen Antrag.
Wir sollten über solche Bilder nicht nur lachen, wie wir über alle Bilder, die alle Menschen kennen, nicht nur lachen sollten, auch wenn sie meist nur ins Lächerliche gezogen erwähnt werden. Könnte es nicht sein, dass wir sie lächerlich machen, weil wir sonst darüber weinen müssten, über solche Bilder, die wir alle mal hatten, aber dann wegsteckten, weil das Leben eben anders ist, härter? Könnte es nicht sein, dass ein Künstler eben einen solchen Moment seiner Erweckung erlebt hat? – Er sei dafür zu wenig glücklich, meinen Sie, er müsste dann wie völlig verändert sein, ein Mensch, dem man das Glück oder zumindest jenen Sprung gleich ansehen müsste?

Aber was geschieht denn mit dem Mädchen, wenn der Traumprinz gekommen ist? Sehen Sie, meist geht die Geschichte dann nicht weiter oder sie wird sehr vage. Das ist es genau, was beim Künstler geschehen kann: Er hat zwar seinen Erweckungsruf gehabt, im Leben »danach« zu sein erweist sich jedoch meist als härter als man denkt. Es kann sogar sein, dass man den Sprung rückgängig macht oder zu machen versucht. Denn: Ja, man ist in einem Traum; aber in diesem Traum bleiben zu können, dies will oft hart erarbeitet sein.

Sehr schnell stellt sich vielleicht heraus, dass der Sprung, jener Ur-Sprung, der einen zum Künstler gemacht hat, bloss dazu diente und nun schmerzhaft erhellend dazu dient, das besser zu sehen, was einen beschäftigt, was den Künstler in spe, bevor er seinen Sprung tat, schon immer beschäftigt hat, und ihn nun nach dem Abheben und während dieses Sprungs auf einer geradezu höheren Ebene beschäftigt. Dass er sich wie auf einem Sprung über eine tiefe Schlucht befindet, in die er vorher nur hinabgelinst hat, während er sich nun direkt über der Schlucht befindet, im freien Flug.

Sie haben nun vielleicht ein Déjà-vu-Erlebnis durch meine Wortwahl, vermutlich vor allem bei diesem Ausdruck einer »höheren Ebene«, von der Kunst auf das Leben blicke, anhand der Kunst das Leben verarbeite oder auf die hin sie das Leben gar führen könne – manchmal ist es auch bloss eine andere Ebene, keine höhere –; dieser Begriff und ähnliche Wörter tauchen immer dann auf, wenn es darum geht, zu erklären, was Kunst eigentlich mache. Wir müssen uns hier einfach eine gewisse Unschärfe bei den Begriffen zugestehen, die ein Rätsel, das endgültig wohl nie zu lösen ist, halt aufkommen lässt.

Warum das alles nun bei einer Vernissage von Augusta Laar? werden Sie sich berechtigterweise fragen. Und hier nun werde ich nicht deutlich, aus persönlichen Gründen Frau Laar gegenüber nicht. Aber das, was ich von ihr selbst hörte, hat mich bewogen, all dem hier nachzugehen: Es gab nämlich einen Punkt im Leben von Augusta Laar, einen Moment, der sie eben erst zu dem gemacht hat, was sie vielleicht immer schon war –  wie gesagt, man muss auch eine Veranlagung dazu haben –, aber was sie am Anfang nicht nach aussen liess. Diesen Sprung, auf dem sie sich zu unserem Glück immer noch befindet, die Resultate dieses Luftflugs, können Sie alle heute hier auf sich wirken lassen. Dieser Sprung, den sie getan hat, ist auch der Grund dafür, warum wir hier und heute vor allem ihre »Barbieworks« sehen, die so oft eine Art Familie darstellen, Vater-Mutter-Kind, auch das religiöse Motiv fehlt nicht; es sind Krippen-Situationen, die hier vor uns stehen.

Spuren des Lebens auf jeden Fall, das Augusta Laar seit jenem Sprung so schmerzhaft gut kennt, denen sie nachgeht, auch in ihren Photos – aber das dort zu sehen, überlasse ich Ihnen, ich will und muss hier nicht alles vorwegnehmen.

Sind Künstler also alles Egoisten? Müsste man sich jetzt fragen, wenn sie alle – wie hier Augusta Laar – einem ureigenen Thema folgen, dass sie brauchen, um ihr Leben überhaupt auszuhalten? Denn dass es so ist, habe ich wiederum von Frau Laar gehört, die mir gesagt hat, sie mache, was sie mache, weil es sie interessiere, was sie nicht interessiere, mache sie schlicht nicht. Sind also alle Künstler Egoisten?

Ja und nein, einerseits eben ganz sicher Ja, denn sie machen – wie gesagt – zumindest in ihrer Kunst meist nur, was sie interessiert. Andererseits jedoch teilen sie mit uns, etwas, was selten vorkommt, weil es ein Teilen ist des Innersten, dessen, was sie tief beschäftigt. Wer teilt schon sein Innerstes mit Ihnen, meine Damen und Herren? Wenn wir noch einmal zur Teenagerin zurückkehren wollen: meist nicht mal Ihre Familienmitglieder, denn eine Tochter erzählt die Regungen des eigenen Herzens eher den Kameradinnen oder sogar nur dem Tagebuch. Und genau hier, beim Hinweis darauf, dass Künstler ihr Innerstes preisgeben, es nach aussen bringen, da haben Sie auch die Erklärung, warum manchmal ein Werk einen so extrem anspringt, anspricht: Kunst ist die nach aussen gebrachte Beschäftigung einer Person mit sich selbst, in der wir uns aber in bestimmten Lebenslagen sofort wiedererkennen. Sie helfen uns, die Kunstwerke, auch unser Leben bewusster zu erleben, es zu ertragen.

Und damit kommen wir zum Anfang zurück, schliessen den Kreis: Müssen es immer Extreme sein, die einen Künstler machen? Nach unserer kurzen Suche dürfen wir wohl sagen: Ja, denn nur ein Extrem kann dazu führen, dass wir uns aus unserem gewohnten Leben werfen lassen, dass wir durch einen Sprung eine extreme Position einnehmen wollen hinsichtlich dessen, was man nur von dort oben so deutlich sieht. Es ist der Vorgang eines Wegschiebens, man schiebt sein altes Ich weg – keine Angst, es bricht auch bei Künstlern noch genug wieder hervor –, es ist ein Wegschieben also, damit ein Neubeginn, manchmal immer wieder: Es ist dies sogar der Grund, warum Künstler auf eine bestimmte Art immer jung bleiben. Dies nun auch noch auszuführen, ginge aber zu weit.

Genug für heute also, Sie werden, meine Damen und Herren – so hoffe ich zumindest ein wenig, und meine es durchaus positiv –, heute Nacht vor lauter Nachdenken alle schon so kaum schlafen können…

 

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